Widersprüchliche Strompolitik

    Die Strompreise spielen verrückt. Sie schnellen in die Höhe. Politisch will man nichts dagegen tun. Doch wenn ein Stromversorgungsunternehmen sich an der Börse verzockt, dann eilt der Staat zur Hilfe.

    (Bild: pixabay) An der Dynamik der aktuellen Strompolitik wird sich erst dann etwas ändern, wenn man die Tafelrunde der Stromzocker auflöst.

    Reales Beispiel: Eine Metzgerei im Kanton Graubünden – der Namen ist der Redaktion bekannt – ist seit etwa sieben Jahren im «freien Strommarkt». Der lokale Stromversorger hat sie zu diesem Schritt ermutigt. Im Durchschnitt dieser Jahre hatte die Metzgerei einen Preisvorteil von sage und schreibe 0,007474 Franken pro Kilowattstunde. Das ergibt eine unglaubliche Ersparnis von 6412.70 Franken für die ganze Zeit oder 916.10 Franken pro Jahr. Mit der aktuellen Preisexplosion im Strommarkt muss diese Firma nun einen Kostensprung von 90’000 Franken tragen.

    Die lokale Stromfirma, also die gleiche, die den Schritt in den Markt empfahl, zuckt nun mit den Schultern. Die Metzgerei habe jahrelang von tiefen Tarifen profitiert, jetzt müsse sie nun mehr bezahlen, behauptet sie. Ein Hohn: Der kumulierte Preisvorteil der «tiefen» Tarifen war 6500; der aktuelle Kostensprung ist 90’000 Franken. 

    Marktmacht und hohle Hand
    Dabei sind gerade die Stromversorger Meister im Holen von Subventionen. Sie haben nicht nur einen bedingungslosen Grundgewinn gewährt durch die staatlich zugesicherte Kapitalverzinsung. Ihnen wird Geld in die Taschen gestopft für den Bau und den Erhalt von Produktionskapazität und Netzen. Eine weitere, ziemlich erträgliche Geldquelle ist der «freie» Strommarkt.

    Denn die Preise dort richten sich immer nach dem teuersten Energieträger – meist ist es das Gas. Wenn man also mit subventionierter Wasserkraft Strom produziert und an der Börse handelt, verkauft man ihn zum viel höheren Gaspreis. Dann ist der «freie» Strommarkt ein sogenanntes Oligopol: Nur wenige Unternehmen können überhaupt handeln und der Marktzutritt ist schwer. Eine disziplinierende Wirkung des Wettbewerbs gibt es im «freien» Markt nicht.

    Verzockt
    Doch die doppelte Marktabschöpfung genügt den Stromfirmen nicht. Sie betreiben auch noch spekulativen Stromhandel. D.h., sie spielen mit den unterschiedlichen Preismechanismen weltweit in den Termingeschäften. Dafür nehmen sie grosse Risiken auf sich. Grundsätzlich ist das nicht problematisch – wenn man die Regeln des Marktes kennt. Die Hauptregel ist: Einsätze werden täglich geleistet, oder anders gesagt, die Rechnungen werden am Tagesende bezahlt.

    Eine besonders risikoreiche Stromfirma hat diese Regel schlicht vergessen. Und weil sie sich verzockte, gefährdete sie ihr Fortbestehen. Und damit auch die Versorgungsicherheit der Schweiz. Statt sie zur Rechenschaft zu ziehen: was macht die Politik? Sie schmeisst ihr Geld nach. Mehrere Milliarden Franken wurden diesem Unternehmen als Rahmenkredit gewährt.

    Stromfirmen sind Staatsunternehmen
    Die Politik ist also in der Schweiz bereit, KMU zu opfern. Auf der anderen Seite werden Stromfirmen, die sich verzocken, dafür belohnt. Das ist absurd, aber eigentlich ganz logisch. Denn Stromversorger sind Staatsunternehmen. Dass der Staat sich selbst schützt, ist keine Überraschung. Dass er bereit ist, KMU untergehen zu lassen, ist auch nicht neu.

    An dieser Dynamik wird sich erst dann etwas ändern, wenn man die Tafelrunde der Zocker auflöst. Dafür braucht es ein neues Marktdesign. Dafür braucht es aber auch an Corporate Governance. Und vor allem braucht es an Mut und Verantwortungsbewusstsein der Politik. Anders als die Politik löst der Bündner Metzger sein Problem selbst. Er will den eigenen Strom produzieren.

    Henrique Schneider

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