Naturnaher Lebensraum für Kinder

    Im Lockdown im letzten Jahr haben viele Familien den Wald wiederentdeckt. Natur ganz nah? Leider nicht für alle. Viele Kinder wachsen in einer Umgebung auf, in der es fast unmöglich scheint, selbständig auf Entdeckungsreise zu gehen. Abhilfe sollen naturnahe Spielplätze schaffen, die für alle erreichbar sein sind.

    (Bilder: zVg) Das Waldsofa – ausserschulischer Lernort

    Klar, gibt es einige Beispiele von erlebnisfreundlichen, naturnah gestalteten Spielplätzen. Sie sind aber sehr dünn gesät. Bei der Planung geht es meistens darum, dass der Platz möglichst pflegeleicht ist. Akkurat geschnittene Rasenflächen, ein quadratischer Sandkasten, eine Schaukel, dazu vielleicht noch eine Betonröhre. Von alleine und selbständig im Freien spielen, andere Kinder treffen, sich bewegen, verstecken, rennen, fangen und besonders entdecken – das wird nur zu oft wegrationalisiert.

    Kindheit in der Natur am Bodensee
    Ich bin an einem phantastischen Ort zwischen See, Wald und einem Sandberg mit Höhle aufgewachsen. In einem kleinen Dorf am Boden- see. Die Natur dieser Umgebung bot dem ortsansässigen Kunstmaler Adolf Dietrich unendliche Inspiration für sein Schaffen.
    Nach den Hausaufgaben trafen sich viele Kinder unterschiedlichen Alters draussen zum Spiel. Dabei war der Radius sehr gross. Durch den Tannenwald, einen Geheimweg hinauf zu einer Lichtung zu gehen um dort einen Fechtkampf aufzuführen, einander zu heiraten oder im Winter den Hang herunter zu Schlitteln – das prägt! Zu allen Jahreszeiten lockte der See mit seinen immer wechselnden Stimmungen und Farben. Der Horizont war weit und lud zum Träumen ein. Abenteuerliche Sprünge vom Schiffsstegpflock, sobald das Schiff ablegte, waren unser grösstes Vergnügen. Wir sprangen in den Schiffsstrudel hinein und liessen uns treiben. Oder mit dem Pferd des Schulkollegen ins Wasser. Was hatten wir für Spass. Und wie unbeschwert und spannend war diese Zeit.

    …und eine Generation später
    Als ich Mutter wurde, war mir die Umgebung, in der meine Kinder aufwachsen sollten, sehr wichtig. Aus dem Dörfchen wurde eine Stadt, die aber ebenfalls zwischen See und Wald lag. Wir wohnten am Stadtrand und die Umgebung war ländlich. Vis-à-vis gab es einen Hühnerhof, bei dem wir unseren Bedarf an Eiern decken konnten. Oberhalb eines Gutshofes, auf dem Graf Friedrich von Zeppelin aufgewachsen ist, gab es einen kleinen Bach, an dem meine Kinder immer wieder beobachteten durften, wie Rehe ihren Durst stillten. Im Winter gab es die Schäfchenwiese zum Schlitteln. Der nahe Wald mit Bach, an dem tagelang Staudämme gebaut und neue Wasserläufe konstruiert wurden. Ein verwunschenes Schloss Brunegg, das nun wieder zum Leben erweckt wurde und heute ein wunderschönes Hotel beherbergt. Selbst Goethe war zu seiner Zeit hier zu Gast. In meiner Arbeit als Kindergartenlehrperson hat die Natur einen ho- hen Stellenwert. Als ich vom Bodensee wegzog, wollte ich zumindest in einer Schule unterrichten, in der der Wald ganz nah ist.

    Ein Sprichwort der nordamerikanischen Ureinwohner sagt: «Behandelt die Erde gut. Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt – sondern von unseren Kindern geliehen.»

    Naturerlebnis am Bodensee

    Wunder der Natur – für Kinder
    Die Kinder für die Wunder der Natur begeistern, das ist für mich ein wesentlicher Impuls und eine grosse Aufgabe. Die Welt hat sich verändert, der Klimawandel ist da. Unsere Kinder sind direkt und unmittelbar davon betroffen. Naturforscher David Attenborough meint, wir alle könnten etwas tun und schildert am Beispiel der Bergorillas, die in den 1980er Jahren vom Aussterben bedroht waren, was möglich ist, wenn Menschen weltweit sich für den Erhalt einer Art einsetzten. Nun ist die Population im Moment weniger gefährdet, da deren Umgebung geschützt wird. Wir Menschen können viel bewegen, wenn wir früh die richtigen Impulse erhalten, uns vernetzten und uns gemeinsam für einen lebenswerten Planeten ein- setzten. Mit der Natur zu leben, nicht gegen sie, eigenverantwortlich handeln, kreative Lösungen suchen, sich gegenseitig anspornen und Mut machen.

    Naturpädagogik, die ein Leben lang wirkt
    Nur was man kennt, will man schützen. Darum ist Naturpädagogik so zentral. Meine Aufgabe ist es, die Kinder an die Natur heranzuführen sie in ihrem natürlichen Wissensdrang zu unterstützen. Sie in Umgebungen zu bringen, in denen Sie Erfahrungen sammeln können mit der sie umgebenden Fauna und Flora. Nur so können Zusammenhänge erkannt werden und die Sensibilität gegenüber der Natur gestärkt werden.
    Der Bezug zur Natur schafft Verantwortlichkeit. Auch der Lehrplan 21 schenkt dem Bereich Natur, Mensch und Gesellschaft eine grosse Aufmerksamkeit. Zum Beispiel mit dem Lernziel Die Schülerinnen und Schüler können Tiere und Pflanzen in ihren Lebensräumen erkunden und dokumentieren sowie das Zusammenwirken beschreiben.
    Ein vermehrter Fokus auf die noch jüngeren Schulkinder macht auch entwicklungspsychologisch Sinn. Die Kinder sind neugierig, wollen alles wissen, mit den Sinnen erfahren – und das ist doch die Basis allen Lernens. Ohne Interesse und Motivation ist wenig möglich.

    Schwerpunkt an den Fachhochschulen
    Wichtig in diesem Bereich ist die Ausbildung der Lehrpersonen. Naturpädagogik ist ein weites Feld und bietet unzählige Möglichkeiten, die Ziele auch aus anderen Bildungsbereichen im Lehrplan 21 zu verfolgen. Viele Kolleginnen und Kollegen bilden sich in diesem Bereich individuell weiter, doch sind dies meist Personen, die sowieso schon einen guten Bezug zur Natur haben. Gefragt sind die Fachhochschulen. Sie müssen einen Fokus auf diesen Bereich legen. Themen wie Abfall, Konsum, Energie und Klima interessieren bereits Kindergartenkinder. Es macht Sinn und ist nachhaltiger, bereits bei den kleinen Kindern ein Bewusstsein für diese Themenbereiche zu schaffen und diese mit ihnen zu Leben. In meiner Klasse habe ich einen Jungen, der jedes Mal, wenn wir in der Pause draussen sind, zuallererst den lie- gengebliebenen Müll entsorgt. Im neuen Schuljahr werden wir im ersten Quartal Marienkäfer züchten und dabei das Wunder der Verwandlung beobachten können.

    Städteplanung für Kinder – gegen Klimawandel
    Ein wichtiger Baustein, um lebenswerten Raum für die Kinder zu schaffen, ist die Architektur: Städtebauplaner/innen, vergesst die Kinder nicht! Kann kann Plätze statt mit Pflastersteinen und Beton mit Wildblumenwiesen, einheimischen Sträuchern, Bäumen und Grünflächen versehen. Wie schön wäre es doch für die ganze Bevölkerung, Mensch und Tier, wenn beispielsweise vor dem Polizeigebäude am Schulhausplatz Baden mit dem schönen Brunnen, der da etwas ver- loren steht zwischen den geparkten Autos und Pflastersteinen, ein kleiner Park entstehen könnte. Oder die Dättwiler Weiher, eigentlich ein schöner Ort, aber leider kaum zugänglich, da von Strassen umgeben. Was wäre da alles möglich …

    In diesem Sinne bin ich der Überzeugung, dass es für die Kinder und ihre Zukunft von grosser Bedeutung ist, die Vielfalt der Natur auf möglichst viele verschiedene Arten erforschen zu können, um sie auch schätzen und lieben zu lernen.

    Lily Maimone


    Zur Person: Lily Maimone ist Tanzpädagogin und Kindergartenlehrerin. Sie versucht die Kinder für die Natur zu begeistern.

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