«Die Strompreiserhöhungen können das Genick unserer Wirtschaft brechen»

    Der Schweizerische Gewerbeverband sgv verlangte in einer Medienkonferenz am 12. September rasches Handeln im Umgang mit der Stromkrise. 

    (Bild: Henrique Schneider)
    Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi (mitte) ist alarmiert wegen den Strompreisen. Gastrousisse-Präsident Casimir Platzer (rechts) will den Firmen den Wechsel in die Grundversorgung ermöglichen.

    «Ich sage ihnen zu Beginn: Ich bin sehr beunruhigt. Eigentlich bin ich alarmiert. Die Strompreiserhöhungen können das Genick unsere Wirtschaft brechen», gab der Die-Mitte-Nationalrat Verbandspräsident Fabio Regazzi zu. Für viele Unternehmen sei der diesjährigen Preishammer unerträglich ja sogar existenzgefährdend.

    «Die aktuelle Situation ist massgeblich von Staatsversagen geprägt», gab Regazzi zu bedenken. Es seien politische Entscheide, die zum Rückgang der Stromkapazität geführt hätten und gleichzeitig den Ausbau verhinderten. Die Ausbauziele der Energiestrategie 2050 seien ein politisches Versprechen, welches nicht eingelöst worden sei. Das erkläre gemäss Regazzi die aktuelle Preissituation.

    Er betonte weiter, dass in der Schweiz keineswegs Strom verschleudert werde. Seit 2010 habe die Schweiz ihre Energieintensität – die verbrauchten Kilowattstunden pro Dollar Wertschöpfung – um 21% reduziert, was im Vergleich zum Ausland sehr viel sei. Die Schweiz weise nach Irland die tiefste Energieintensität aller entwickelten Wirtschaften auf. Das sei das Verdienst der kontinuierlichen Massnahmen der Wirtschaft, vor allem der Programme der Energieagentur der Wirtschaft EnAW.

    Die drohende Strommangellage sei kein kurzfristiges Problem und der Ausbau der Kapazitäten müsse politisch vorangetrieben werden. Konkret stelle der Schweizerische Gewerbeverband folgende Forderungen auf: Der Bau von Kleinanlagen aller nachhaltigen Technologien auf Haushaltsebene müsse bewilligungsfrei erfolgen. Grossprojekte der Wasser- und Windkraft müssten vom Einspracheverfahren ausgenommen werden. «Wir müssen die administrativen Hürden wegräumen», fordert der Verbandspräsident.

    Sparpläne durch Branchen erstellt
    Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler erklärt, dass im Falle einer Mangellage, eine Notverordnung zum Tragen kommen. Diese gibt dem Bund die Möglichkeit, Bewirtschaftungsmassnahmen wie das Verbot von einzelnen Aktivitäten und die Kontingentierung von Strom zu ergreifen. Dabei lässt die Notverordnung dem Bundesrat über, welche Aktivitäten verboten würden.

    «Für viele Unternehmen, Wertschöpfungsketten und Branchen sind diese granularen und intrusiven Bewirtschaftungsmassnahmen unverhältnismässig und potenziell existenzgefährdend», warnt Bigler. Er schlägt deshalb eine zusätzliche Eskalationsstufe vor. Wertschöpfungsketten und Branchen sollen mit der wirtschaftlichen Landesversorgung Energie-Sparvereinbarungen eingehen.

    Diese Vereinbarungen würden mittels von den Unternehmen und Branchen selbst erarbeiteten Plänen «bottom up» umgesetzt. Dabei müsse es der Branche bzw. der Wertschöpfungskette freigestellt sein, wie sie die Vereinbarung umsetze. Im Gegenzug werden Firmen, die an diesen Vereinbarungen teilnehmen, möglichst von Bewirtschaftungsmassnahmen ausgenommen.

    Zurück in die Grundversorgung
    Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer fokussierte auf die alarmierenden Strompreise und lieferte zwei konkrete Beispiele. Ein kleineres Berghotel habe bisher jährlich gut 5’000 Franken Stromkosten. Dieses Hotel müsse einen neuen Vertrag ab nächstem Jahr abschliessen. Der Stromproduzent habe dem Hotel ein Angebot für einen neuen 5-jahres Vertrag unterbreitet. Eine erste Offerte hätte Energiekosten von über 162’000 Franken bedeutet, also einen um das 32-fache höheren Betrag. Die Kosten der zweiten Offerte von über 81’000 Franken würden immer noch einer Preissteigerung von 1600% entsprechen.

    Das zweite Beispiel bezeichnete er als Wucher. Es betrifft eine mittelgrosse Metallbaufirma. Im Jahr 2022 bezahlte diese Firma für ihren Strom 58’021 Franken. Dieses Unternehmen hat nun eine Offerte auf dem Tisch mit Kosten für den Energieanteil von 925’670 Franken. Das sind über 16mal höhere Kosten.

    Um das zu korrigieren, fordert Platzer: «Wir möchten den Unternehmen, die im sogenannten freien Strommarkt sind, die Rückkehr in die Grundversorgung ermöglichen.» Unter gewissen Auflagen sollte das für die KMU möglich sein. Die erste Auflage sei, dass sie eine Vorlauffrist von einem Jahr einhalten müssten. Die zweite sei, dass sie nach einem Wechsel in die Grundversorgung für mindestens 3 Jahre dort verbleiben oder auf dem Energieteil eine Penalty von maximal 10% bezahlen müssten.

    «Das ist für die betroffenen KMU schmerzhaft. Doch diese Korrektur respektiert das Schweizer Marktdesign und setzt Anreize für eine Mässigung der Preise, ohne direkt auf die Preise einzugreifen», so der Gastrosuisse-Präsident.

    Wie weiter?
    Die Forderungen des Gewerbeverbands sind schon beim Bundesrat deponiert. Die Exekutive ist bereit, auf die Idee der Sparvereinbarungen einzutreten. Die anderen Forderungen müssen wohl parlamentarisch umgesetzt werden.

    Die eidgenössischen Räte Tagen im September in Bern. Obschon Strom und Strompreise nicht auf ihrem Programm stehen, werden diese Themen wohl eine prominente Rolle in den Diskussionen einnehmen.

    Henrique Schneider

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